Raimund Dietz: „Geld und Schuld“

Buchbesprechung von Dr. Wolfgang Schollnberger (Maturajahrgang 1963)

Habe soeben das Buch von Raimund Dietz (Maturajahrgang 1963) „Geld und Schuld – eine ökonomische Theorie der Gesellschaft“ gelesen. Es ist ganz ausgezeichnet, eine Bereicherung und ein Lesevergnügen. Das breite und zugleich tiefe Wissen des Autors, gepaart mit messerscharfem Denken und Argumentieren, eingepackt in brillanter Sprache haben mich von Seite zu Seite fasziniert.

Bei einem Buch, das in seiner Gesamtheit auf so hohem Niveau steht, ist es schwer, auf Höhepunkte hinzuweisen. Für mich waren die Kapitel 2.4 (Individuum, Gesellschaft, Geld) und 2.8 (Geld und Geldvermögen) ganz besonders aufschlussreich. Was Dietz über Vermögen als Revier ( „Typ“ 1: Sachwerte, „das worauf wir sitzen“) und Vermögen als Forderung bzw. Schuld („Vermögen Typ 2“) sagt, hat meine Sichtweise deutlich erweitert. Dietz weist auch zu Recht auf eine gefährliche Schwachstelle in unserer modernen Gesellschaft hin: das ungeheure Ausmaß der weltweiten Forderungen, die zugleich alle jemandes Schulden sind. Vermögen vom Typ 2 sind in den letzten 25 Jahren, gehebelt durch leicht zugängliche Kredite, die neuerdings auch zu sehr niedrigen Zinsen zu haben sind, und auch angeheizt durch Derivate und Hochgeschwindigkeitstransaktionen in astronomische Höhen geschnellt. Reines Finanzkapital (Vermögen vom Typ 2) ist heute weltweit nicht nur fünf bis zehnmal grösser als die laufende Produktion (die Derivate sind hier noch gar nicht eingerechnet), was dazu führt, dass es sich – wie Dietz mit Zahlen demonstriert – abgehoben und oft völlig losgelöst von realen Vorgängen der Wirtschaft bewegt. „Sinnfällige Bezüge auf Gütermärkte sind extrem dünn“, schreibt Dietz. Es kann einem ganz schwindelig werden, wenn man an die möglichen globalen Kettenreaktionen denkt, die das Nichtbegleichen von Schulden auslösen kann/wird. Ich stimme dem Autor völlig zu, dass die gegenwärtige Wirtschaftskrise noch nicht nachhaltig bereinigt ist.

Beim Lesen des Kapitels 3 (Theoriekritik) fielen mir die Schuppen von den Augen. In seiner schonungslosen Offenheit und in meisterhafter Sprache zeigt Dietz, wie leer die Annahmen der „schulbuchökonomischen“ Theorien (Klassik, Neoklassik, Marxismus) sind. Wenn man Dietz gelesen hat, wundert es einen gar nicht, dass ihre Instrumente gerade jetzt wie stumpfe steinzeitzeitliche Keile erscheinen und dass es für die genannten Theorien unmöglich ist, Gesellschaften den Weg aus der heutigen Wirtschaftskrise zu weisen und Rückfälle nachhaltig zu verhindern. Der ökonomische Mainstream scheint besonders mit den Konsequenzen der jetzigen Hypertrophie der Finanzmärkte nicht umgehen zu können.

Darüber hinaus bietet Dietz seine breiten, tiefen und gewinnbringenden Einsichten zu Themen wie Vermögensbildung, private und staatliche Schulden, Wirtschaftswachstum, Einkommensungleichheit, Steuern, Inflation, Deflation, notwendiger Sozialismus im Kapitalismus und vielem mehr. Großartig ist auch, wie der Autor immer wieder Erkenntnisse über die Psyche des Menschen in seine ökonomische Durchleuchtung moderner Gesellschaft einbringt, und damit Bezüge herstellt, die den mechanistisch denkenden Ökonomen fremd sind.

Es überrascht daher nicht, dass seit der Erstauflage in 2011 schon zwei weitere überarbeitete Auflagen erschienen. Dieses Buch, das der Autor seiner Mutter, der Schriftstellerin Gertrud Fussenegger gewidment hat, sollte so bald wie möglich ins Englische übersetzt werden, um das großartige Werk einem noch größeren Leserkreis zugänglich zu machen. Neueste Bücher in Englisch, wie Michael Lewis’s „Flash Boys“ (2014) und Thomas Picketty’s „Capital in the Twenty-First Century“ (2014) behandeln Teilbereiche von dem, worüber Dietz spricht. Ihre enggesteckten Ansätzen und beschränkten Lösungsvorschläge verblassen neben den umfassenden gesellschaftlichen Perspektiven, die Raimund Dietz bietet.

Jeder, dem die zukünftige Entwicklung demokratischer Gesellschaftsformen am Herzen liegt, aber auch alle, die als mündige Bürger am wirtschaftlichen Wohlergehen von Personen, Kleingruppen, Staaten und Staatengruppen interessiert sind, oder sich einfach „mit Geld aussöhnen möchten“, sollten dieses Buch lesen. Ich persönlich habe sehr viel von seinem Buch gelernt. Meine Unterstreichungen und Randbemerkungen bezeugen das! Ich habe noch selten etwas gelesen, dem ich so voll und ganz folgen und weitgehend zustimmen kann. Dafür möchte ich dem Autor danken.

Dr. Wolfgang Schollnberger (Maturajahrgang 1963)
Internationaler Energie Berater
Potomac, Maryland , USA